Rote Flora: Vom Damm’s Tivoli zum autonomen Zentrum

Shownotes

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Bevor 1888 das Gesellschafts- und Concerthaus „Flora“ eröffnete, stand hier schon 1835 auf dem Teil des Schulterblatts, der zu Altona gehörte, ein runder Ausflugspavillon aus Holz. Erst hieß er „Schmidt’s“, später „Damm’s Tivoli“ – ein Sommertheater mit Gastgarten und festlicher Beleuchtung. Kurz vor dem Neubau der Flora wurde dieser Pavillon abgerissen.

Das 1889 eröffnete Gebäude war eine weitläufige Anlage bis zur Lippmannstraße. Im Erdgeschoss gab’s ein Wiener Café und Restaurant, darüber Säle für Privatgesellschaften, Mietwohnungen und ganz oben Unterkünfte für das Personal. Eine Attraktion war der große Garten, der abends in buntem elektrischen Licht erstrahlte. Der eigentliche Konzertsaal, 25 Meter lang, lag direkt an der Lippmannstraße; dazwischen befand sich der Kristallpalast für Varieté, Maskenbälle, pyrotechnische Shows und sogar Box- und Ringkämpfe. Nach einer Unterbrechung im Zweiten Weltkrieg startete 1949 der Theaterbetrieb mit Operettenmelodien neu – gesungen von Stars wie Hans Albers und Johannes Heesters. Ab 1957 lief im Vorderhaus ein Kino, 1964 zog ein Haushaltswarenladen ein, bis 1987 das „Cats“-Team hier das Musicaltheater für das „Phantom der Oper“ eröffnete.

Am 1. Oktober 1989 besetzten linke Aktivist:innen das Haus als Protest gegen steigende Mieten und den Verlust sozialer Räume. Sie tauften es um in „Rote Flora“ und sagten: „Das Haus gehört uns!“

  1. Der Dauerstreit ums Gebäude Seit der Besetzung tobt ein Rechtskampf: Die Stadt bot das Gelände mehrfach zum Verkauf an, aber die Besetzer:innen lehnten Kommerzialisierung ab. Gerichte stoppten Abrisspläne, es gab jahrelange Verhandlungen zu Brandschutz und Sanierungen – ein offizielles Nutzungsabkommen steht bis heute aus. Währenddessen wurde die Flora Stück für Stück in Stand gehalten, oft von Handwerksgruppen und Freiwilligen, die alte Fußböden abschliffen, Mauerrisse verputzten und die alten Fenster restaurierten.

  2. Die Schill-Ära: Law-and-Order trifft Flora Zwischen Oktober 2001 und August 2003 hat Ronald Schill, Hamburgs „Richter Gnadenlos“, als Innensenator mächtig Dampf gemacht. Er wollte „rechtsfreie Räume“ wie die Flora räumen lassen, verzichtete wegen der Eskalationsgefahr im belebten Schanzenviertel aber auf eine gewaltsame Aktion. Stattdessen gab’s mehr Kontrollen, Videoüberwachung und regelmäßige Polizeistreifen – ein Klima, das die Flora noch entschlossener machte, sich als „Festung“ im Widerstand zu begreifen.

  3. Wie die Rote Flora heute tickt Geh mit mir hindurch ins Foyer: Da steht ein Tisch mit linker Literatur, Infostände zu aktuellen Kampagnen und bunte Plakate zu Lesungen, Filmabenden und Solipartys. Im hinteren Bereich brodelt die „Volxküche“ – vegane und vegetarische Gerichte gegen Spende. Dann gibt’s verschiedene Räume:

Musikproberäume, in denen lokale Bands ihre ersten Songs spielen.

Einen kleinen Theatersaal mit flexiblen Bühnenaufbauten für Performance-Kunst und Poetry Slam.

Den Clubbereich, wo regelmäßig Punk-, Hip-Hop- oder Elektro-Konzerte steigen.

Alles ist nicht-kommerziell, solidarisch und auf „Do It Yourself“ ausgerichtet: von der Theke über die Lichttechnik bis zum Plakatieren.

  1. Basisdemokratie in Aktion Hier gibt’s keine Chefs, sondern offene Plena – jede:r kann mitreden und wird gehört. Anträge werden vorgestellt, diskutiert und oft per Konsens entschieden; wenn’s strittig ist, gilt Mehrheitsbeschluss. Die Kohle kommt aus Spenden, Ticketgeldern und Solidaritätskonzerten, und alles wird transparent in Protokollen dokumentiert. Reparaturen, Putz- und Technikdienste übernehmen wechselnde Freiwilligenteams: Mal sind’s Studis, mal Handwerker:innen, mal Nachbar:innen.

  2. Community-Highlights und Protesträume Besonders eindrucksvoll war die Rolle der Flora während der G20-Proteste 2017: Als zentrale Anlaufstelle für Aktivist:innen bot sie Schlafplätze, Verpflegung und strategische Koordination. Auch heute fungiert sie immer wieder als Ort, wenn Demonstrationen geplant werden oder Geflüchtete Mobilisierung und Unterstützung suchen. Darüber hinaus finden hier Workshops zu Themen wie Urban Gardening, Queer-Feminismus und Klimagerechtigkeit statt, bei denen du selbst aktiv werden kannst.

  3. Warum die Rote Flora so wichtig ist Die Flora ist heute weit mehr als ein Club oder Kulturhaus: Sie ist ein Symbol für Selbstorganisation, Solidarität und Widerstand gegen Gentrifizierung. Hier vernetzen sich Antifa-Gruppen, Flüchtlingsinitiativen, Umweltaktivist:innen und feministische Projekte. In einer Stadt, die immer teurer wird, zeigt die Rote Flora, wie gemeinschaftliche Freiräume lebendig erhalten werden können.

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